© Lara Wilde, Zentrum für Politische Schönheit

Wie geht politische Schönheit?

Das Zentrum für Politische Schönheit versucht durch Aktionskunst Menschen mit seiner Botschaft zu erreichen. Nur, wie lautet die?

Erschienen in fool on the hill, Ausgabe 13 (2009)

Können Sie sich Jungminister Rösler vorstellen, wie er aus einem Bergschacht kriecht? Überall hätte er Ruß auf der Haut, im Gesicht, an den Händen, aber auch an den Kleidern, dem Jackett und dem weißen Hemd. Er käme aus dem Schacht gekrochen, richtete sich auf und brächte, mit nur zwei eingeübten Bewegungen, den Anzug flugs wieder in Form. Haben Sie das Bild? Dann denken Sie sich die gelbe Kravatte weg und den Liberalen irgendwo anders hin. Vor Ihnen steht Philipp Ruch, der Gründer des Zentrums für Politische Schönheit (ZPS). Das Zentrum ist das wohl spannendste Projekt von Künstlern in Deutschland seit der Gruppe 47; Ruch, Jahrgang `81, einer der vielversprechendsten jungen deutschen Intellektuellen. ZEIT Campus wählte ihn jüngst unter die 100 Studenten, von denen wir noch hören werden, Dutzende Nachrichtenblätter nehmen auf ihn und die Gruppe Bezug, sogar von Alexander Kluge hat Ruch bereits Lob für seinen Film Über das Verschwinden erhalten.

Die ersten Begegnungen mit Aktionen des Zentrums für Politische Schönheit irritieren ein wenig: Wollen sie unterhalten, amüsieren, sind sie gar ernst gemeint? Aber wie? Vor dem Reichstag findet eine Inszenierung mit Schauspielern statt, die in Megaphone sprechen. Es geht um die letzten Stunden vor dem Massaker in Srebrenica 1995, und wir betrachten eine Sitzung der UN, die im Angesicht des Holocausts nichts unternehmen wollen: 8.000 Kinder, Männer und Frauen werden getötet. Ein anderes Mal werden Bombenhüllen vor dem Reichstag platziert. Als Angela Merkel symbolisch ihre Stimme zur vergangenen Bundestagswahl in die Urne wirft, steht neben ihr eine Figur ganz in schwarzem Tuch verhüllt, steht einfach nur da, folgt dann der Kanzlerin und den Kamerateams langsam in den nächsten Raum, gespenstisch. Und im Internet finden sich diverse Videos, auf denen eine bildschöne Frau Menschen auf der Straße befragt: „Was ist das Größte, was du im Leben erreichen willst?“ In ihr Gesicht ist schwarzer Kohlestaub geschmiert, das Erkennungszeichen des ZPS. Als auch die X-te Person die Frage damit beantwortet, sie wolle Kinder haben, Glück und Wohlstand, überreicht die politische Schöne ihr einen Umschlag, darin liegen zwei Stücke Kohle.

Die Aktionen des ZPS sowie deren professioneller Auftritt im Internet und in den Medien zeugen sowohl von einer hohen poetischen Qualität als auch von gut beherrschtem Handwerk; vor allem die Videoproduktionen glänzen, deren Schmied anscheinend Bill van Bergen heißt. Die Aktionen, die Schriften, ja selbst die Portraitfotografien der Mitglieder des ZPS sind penibel durchdacht und aufwendig inszeniert. Die Gestalt im schwarzen Tuch: Das Gespenst der politischen Melancholie. Die Kohle, der Ruß, den die Artisten im Gesicht haben: Symbole für verbrannte Hoffnungen. Die Bomben vor dem Reichstag erinnern an das UN-Versäumnis, das Massaker von Srebrenica zu verhindern. Was wir sehen ist fraglos Kunst, aber nicht Kunst um der Kunst willen. Die beschriebenen Darbietungen teilen Inhalte mit, die über den Selbstzweck weit hinausgehen, und als wir uns mit Philipp Ruch in Berlin treffen, dem Chefunterhändler des ZPS, sprechen wir nicht über Kunst, wir sprechen über Politik. Die anfängliche Irritation weicht der Einsicht, woher sie rührt: aus jenem Kunstverständnis nämlich, welches dominant im 20. und den Anfängen des 21. Jahrhunderts war. Ruch hält es eher mit Schiller denn mit Yves Klein: Die Kunst soll in ihrer Autonomie nicht bloß sich selbst bedienen, sondern die Menschen zu einem besseren Selbst erziehen, sie soll ihnen helfen, das Schöne zu denken und so zum schöneren Handeln führen. Dass das ZPS neben seinen politischen Ambitionen den dominanten Kunstbegriff der Gegenwart derart in Frage stellt, kann Philipp Ruch nur mehr als recht sein.

Seerosen für Afrika: „Ein monumentales Symbol des 21. Jahrhunderts“

Dennoch schwierig bleibt es, das Zentrum politisch einzuordnen. Am ehesten ließe sich vielleicht noch ein humanistischer Liberalismus attestieren; ein Liberalismus, der mit der Politik der FDP nur wenig gemein hat. Philipp Ruch, der das ZPS am 8. Mai 2009 ins Leben rief – dem Jahrestag der Befreiung Deutschlands –, ist ein Mensch mit gut durchdachten Ideen, der zu wissen scheint, wovon er spricht, der begeistern und überzeugen kann. Sieben Jahre lang studierte der Wahlberliner aus Dresden Philosophie und politische Theorie, daneben Geschichte, Kulturwissenschaft und Germanistik. Mit Platon und Schiller ist er per Du, er zitiert viel, beruft sich dabei vor allem auf Schillers 9. Brief „Über die ästhetischen Erziehung des Menschen“. Nicht so gut kann er mit Marx. Der habe seine Politik nie erklärt. Es sei gefährlich, für eine Politik zu kämpfen, die eigentlich nicht weiß, wo sie hin will. Die liberale Marktwirtschaft hingegen wisse genau, was sie will. Unternehmer, stille Helden der Wirtschaft, die nicht der Gier verfallen, sondern durch Taten vorangehen: Das sind Menschen nach dem Gusto des ZPS. Überhaupt geht es vor allem um den Menschen, sein Selbstverständnis und sein Bewusstsein für richtiges Handeln. Ruch will in Deutschland keinen Systemwechsel herbeiführen, er ist kein Sozialist, aber er ist ein Verfechter moralischer Werte. Er glaubt nicht daran, dass Systeme, die davon ausgehen, der Mensch würde durch sie besser als er ist, für den Menschen besser funktionieren können als das unsrige. Er bemerkt eine große Resignation im Land, spricht von Lethargie und Verdrossenheit gegenüber dem Weltgeschehen. Insofern leben wir nach Ruch in einem System, dessen Dysfunktionalität erwiesen ist, das es aber nicht abzulösen, sondern zu verändern gilt. Nach einer „APO des 21. Jahrhundert“, wie sie die Berliner Zeitung entdeckt zu haben meint, klingt das nicht. Dem ZPS geht es nicht um eine andere Politik, sondern vor allem um einen anderen Menschen.

„Ich ahne, dass im 21. Jahrhundert mehr Menschen sterben werden als im gesamten 20. Jahrhundert gestorben sind. An den EU-Außengrenzen gibt es schon heute mehr ‚Mauertote‘ als es jemals im Kalten Krieg an den Grenzen gegeben hat. Jeden Tag sterben weltweit 100.000 Menschen an Hunger, Krankheit und Krieg. Mindestens die Hälfte davon könnte gerettet werden, wenn wir es als Gesellschaft denn wollten. Unsere Kinder werden fragen: Was habt ihr damals eigentlich dagegen unternommen?“ Auch wenn er sich selbst nicht so bezeichnen mag – Ruch ist vor allem ein Künstler, und zwar einer, der genau weiß, welche Wirkung er beim Publikum erreicht, wenn er solche Zahlen nennt. Wachrütteln will Ruch und wachrütteln sollen die Aktionen, sie sollen an unsere Hoffnungen und Träume appellieren, uns zu mehr Verantwortungsbewusstsein führen, zu einem konsequent moralischen Handeln. Politische Schönheit ist moralische Schönheit, so bringt es Ruch auf eine Formel. Für die Menschen, sagt er, müsse das Wichtigste auf diesem Planeten der Mensch sein, und es spielt dabei keine Rolle, wo dieser lebt. Genozide müssen verhindert werden, wenn man sie verhindern kann. Doch dazu sei die Gesellschaft nicht bereit: „Die Debatte darum, ob diese Gesellschaft bereit ist, Genozide zu verhindern, die wird nicht geführt.“ Auch der Krieg müsse in letzter Instanz legitimes Mittel zur Verhinderung des Holocaust werden, sagt er und verweist auf Fischer, der 1999 die Erinnerung an Auschwitz als Begründung für eine deutsche Beteiligung am Kosovo-Krieg heranzog. Schließlich könne es nicht „Nie wieder Krieg“ heißen, solange auch gilt: „Nie wieder Holocaust.“ Dass hierzu kein öffentlicher Diskurs stattfindet, sei aber kein Versäumnis der Politik, sondern müsse vor allem ein Thema werden, zu dem die Gesellschaft sich mittels der Kunst und der Presse äußert: eben so, wie das Zentrum für Politische Schönheit. Als ein „monumentales Symbol“ und „internationales Bekenntnis zur abendländischen Humanität“ wird dessen aktuelles Projekt „Seerosen für Afrika“ im Internet vorgestellt. Darin geht es um Menschen, die aus Verzweiflung den gefährlichen Weg über das Mittelmeer einschlagen, um in Europa ihr Glück zu versuchen. 67.000 Menschen versuchten allein im letzten Jahr, Europa auf dem Seeweg zu erreichen. Dieser immerwährende Flüchtlingsstrom kommt vor allem aus Libyen. Für viele der Menschen, die aufbrechen, um ein besseres Leben zu finden, endet die Reise im Tod, die Schiffe sinken oder bleiben auf hoher See liegen, weil sie zu wenig Treibstoff haben. Wer es doch bis an die Grenzen Europas schafft, den erwartet mit Sicherheit eines von 112 Schiffen der europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen Frontex, die den Auftrag hat, Flüchtlinge an der Einreise nach Europa zu hindern. Die sogenannten „Seerosen für Afrika“ stellen 1.000 schwimmende Plattformen dar, die im Mittelmeer platziert werden sollen. Auf sie sollen sich Schiffsbrüchige kurzzeitig retten können; Frontex hätte nunmehr die Aufgabe, die gestrandeten Flüchtlinge von den schwimmenden Plastiktellern zu retten.

Natürlich ist dieses Vorhaben keines, von dem Ruch glaubt, es könne ernsthaft das Ertrinken Tausender Menschen verhindern, die ohne Treibstoff, Nahrungsmittel und Schwimmwesten, einhundert Seemeilen vom Festland entfernt, auf der rauen See treiben. Allein schon der für das Mittelmeer typische hohe Wellengang brächte das Projekt zum Scheitern. Auch mit dem Projekt „Seerosen für Afrika“ will das ZPS offenbar vor allem irritieren, Aufsehen erregen und ein Zeichen setzen, das ganz an und für sich ein moralisch Schönes ist. Dass die Aktionen der Politischen Schönheit von vielen falsch aufgefasst werden, zeigt schon ein kurzer Blick in die Presse. Derart dramatische Themen wie den Völkermord zu behandeln, sie aber nicht klipp und klar zu besprechen, sondern metaphorische Aktionen an ihrer statt sprechen zu lassen, bringt einige Schwierigkeiten in der Verständigung nach außen mit sich: Wer nimmt die Ideen zu wörtlich, wer erkennt sie als Bilder, sieht auch den wichtigen Ernst darin? Will man nicht nur provozieren, sondern jene Diskurse, an denen Ruch so viel liegt, tatsächlich anstoßen, dann kann es nicht sonderlich dienlich sein, die Interpretation des eigenen Tuns nur anderen zu überlassen. Ruch wird sein Anliegen in den kommenden Jahren immer wieder umfassend erklären müssen.

Aktionskünstler Philipp Ruch und Nina Van Bergen: „Versuch eines poetischen Humanismus“

Immerhin, viele sind inzwischen aufmerksam geworden auf die Aktionen des Zentrums, täglich werden es mehr, die sich über facebook und twitter zu Anhängern des politisch schöneren Denkens bekennen. Irritation schafft eben auch Neugier, und die Anziehungskraft schöner Bilder ist hinreichend bekannt. Ob die Gruppe für ihre Themen mehr Gehör fände, wenn sie als Partei auftreten würde, ist fraglich. Alleine Ruchs Thesen zum Krieg als Mittel gegen den Holocaust enthalten genügend Sprengstoff, um jeden Stammtisch zu spalten. Das ZPS ist laut Ruch der „Versuch eines poetischen Humanismus’“. Nach allem was wir gehört haben, ist es besonders der Versuch eines moralischeren Menschen. Denn das Zentrum der Politischen Schönheit ist nach dem Prinzip der Menschheit organisiert: Viele denken, manche handeln.