Falscher Glanz

Prof. Clemens Knobloch beschäftigt sich mit politischer Kommunikation. Für ihn ist klar: Hinter den erklärten Zielen der Bologna-Reform verbergen Wirtschaftseliten ihre ganz eigenen, inoffiziellen Absichten.

Erschienen in fool on the hill Nr. 14 (2010)

David Schmidt: Seit einigen Jahren beobachten wir in Deutschland die Privatisierung staatsgetragener Einrichtungen. Auf die Privatisierung der Bahn und der Post folgte die Privatisierung der Hochschulen. Die Bundesländer tragen offiziell nicht länger die Verantwortung für ihre Universitäten. Was bedeutet das heute für Forschung und Lehre in Deutschland?

Clemens Knobloch: Sie sagen, die Bundesländer tragen nicht länger die Verantwortung für Bildung, für Forschung und Lehre. Man könnte vermuten, dass sie die Verantwortung nicht länger tragen wollen und sie deswegen von sich wegschieben. Aber wenn wir uns von unserem heutigen Standpunkt aus anschauen, was in den Ländern passiert ist, in denen die Privatisierung von Bildungseinrichtungen schon weiter fortgeschritten ist, dann können wir daraus lernen, dass Staat und Öffentlichkeit sich nicht ohne Weiteres der Verantwortung entziehen können. Sie kennen vielleicht das Beispiel von der mit Staatsunterstützung privatisierten Vorschulerziehung in Australien, die dann Bankrott anmelden musste. Im Ergebnis musste der Staat sie wieder übernehmen, nachdem er vorher Millionen in ihre Privatisierung investiert hatte.

Die staatliche Verantwortung für die Hochschulbildung gänzlich abzugeben, ist in letzter Konsequenz also gar nicht möglich?

Ja, denn spätestens, wenn es zu Zusammenbrüchen kommt, wird klar, dass die Verantwortung bei der Politik bleibt. Sie wird auch weiterhin dafür verantwortlich gemacht werden, wie es mit dem Bildungssystem steht. Sie kann sich nicht mit allen Wahl- und Sonntagsreden hinstellen und behaupten, dass Bildung das Eine sei, das Tolle, der allgemeine Gleichmacher, Bildungspolitik sei die beste Sozialpolitik und Bildung überhaupt unsere Zukunft – und dann auf einmal sagen: da haben wir nichts mit zu tun! Das geht nicht.

Welche Rolle spielen die Ziel- und Leistungsvereinbarungen in dem Abhängigkeitsverhältnis zwischen den deutschen Bundesländern und ihren Universitäten?

Wenn Sie jetzt nach den Zielvereinbarungen fragen, fangen wir an, von der Praxis zu sprechen. Zielvereinbarung ist ein schönes Wort, weil es suggeriert, dass sich zwei Gleiche gegenüberstehen und darüber verhandeln, was wünschenswert ist. Das ist aber natürlich nicht der Fall. Die Zielvereinbarung ist ein Euphemismus, also ein beschönigendes Wort, das verbirgt, dass hier das Land bestimmt, was die Hochschulen machen müssen, wenn sie weiterhin so und so viel Prozent ihres Grundhaushaltes vom Land bekommen wollen. Daran können Sie sehen, wie ernst es den Bundesländern mit der Vermarktlichung der Universitäten eigentlich ist.

Wenn jetzt also die Universitäten genötigt sind, sich um ihre Finanzierung, ihre Wirtschaftlichkeit und ja auch ihr Markenimage selbst zu bemühen, ist da freie Forschung überhaupt noch möglich, die ihre Ziele ja nicht immer erreicht?

Ich glaube zumindest, dass es auf allen Ebenen der Hochschule erhebliche Behinderungen gibt. Die Verfügung über die Forschung wird an verschiedene Stellen abgegeben, weil der Anteil der unmittelbar interessegeleiteten Forschung wächst. Gesundheitsforschung, die von Reemtsma und von Nahrungsmittelkonzernen finanziert wird, gelangt natürlich zu anderen Ergebnissen als eine Forschung, die von der Wirtschaft unabhängig ist. Wenn Sie nur oder überwiegend interessierte Forschung haben, dann wird eben derjenige, der Interesse hat, auch zu verhindern wissen, dass für ihn Unangenehmes publik gemacht wird. Das ist also die eine Ebene. Die andere Ebene erfahren wir viel direkter, weil sie einen krassen Kontrast gegenüber der früheren Forschungsfreiheit an den damals noch allgemein staatlich und öffentlich verantworteten Universitäten aufzeigt. Jeder Professor, jeder Lehrende oder Forscher konnte früher Drittmittelanträge an die Deutsche Forschungsgemeinschaft und andere stellen. Heute versuchen die Universitätsleitungen, die Forschung zu kanalisieren: „Der eine soll forschen, das fördern wir – der andere soll aber nicht forschen, dessen Antrag fangen wir ab.“ Die Einzigen, die nicht mehr über Macht in der Forschung in diesem Zusammenhang verfügen, sind die Forscher selbst.

Wenn man sich die Hochschulen in Deutschland daraufhin anschaut, was sich zehn Jahre nach der Bologna-Reform an ihnen verändert hat, gelangt man zwangsläufig zu einer negativen Bilanz: Die Hörsäle sind überfüllt, das Angestelltenverhältnis Ihrer Kollegen, besonders auch Ihrer jungen Kollegen, wird prekarisiert. Bildung und Forschung leiden, das haben wir gerade besprochen. Die Universitäten scheinen damit überfordert zu sein, sich als Quasi-Unternehmen neu auszurichten. Außerdem sind die Ziele des Bolognaprozesses heute mehrheitlich nicht erreicht.

Ich würde sogar weitergehen und sagen, es hat diese Ziele noch nie gegeben, sondern sie waren bloß rhetorische Fassaden, hinter denen mächtige Akteure ihre wirklichen Ziele verfolgt haben. Wollen Sie ernsthaft glauben, dass diese Maschinerie, diese Dampfwalze in Bewegung gesetzt worden ist, damit die Studierenden leichter mal für ein Semester nach London wechseln können? Hinter dieser Maschinerie stecken viel massivere Interessen. Bologna ist eine rhetorische Fassade, hinter der man die angebliche Vereinheitlichung der Studienbedingungen in Europa vorantreibt. Wie man das auch dreht und wendet, bleibt es ja Blödsinn. Wenn wir ein traditionell auf bestimmten Ebenen gutes System in Frankreich, ein anderes in England und wieder ein anderes in Deutschland haben, welchen Sinn sollte es da machen, die alle platt und gleich zu machen? Wenn man wirklich ernsthaft über ein attraktives Universitätsangebot in Europa nachdenken würde, müsste man doch Diversifizierung betreiben und nicht mit dem Rasenmäher über alle drüber fahren. Schon das Ziel selbst ist unsinnig. Und wechselseitige Anerkennung von Studienabschlüssen ist doch eine Selbstverständlichkeit, dafür braucht man doch nicht das ganze System umzuwälzen. Die rhetorische Fassade von Bologna ist so was von dürftig! Man muss sich eigentlich darüber wundern, dass es gelungen ist, hinter dieser Fassade so etwas wie einen Putsch an den Hochschulen wirklich durchzudrücken.

Wer genau hat denn da eigentlich geputscht, wie Sie sagen?

Kompakte Akteure kann man sagen. Wenn Sie die Vorgeschichte der Bologna-Reform zurückverfolgen, kommen Sie natürlich auf die Bertelsmannstiftung, kommen auf den Round Table of European Industrials auf der EU-Ebene, Sie kommen auf kompakte Wirtschaftsakteure, die ein Bündnis eingehen mit nationalen politischen Eliten, die schon lange Bildungsreformprobleme haben, die sie gerne mal hinter solchen Fassaden durchziehen wollen.

Bildungsreformprobleme politischer Eliten: Wie ist das gemeint?

Schon in der letzen Umbauphase der deutschen Universitäten gab es den Versuch, berufsnahe und forschungsnahe Hochschulen zu polarisieren. Konsekutive Modelle mit total verschulter und berufsbezogener erster Phase und wissenschaftlicher zweiter Phase sind von der Industrie schon in den 60er Jahren gefordert worden – ebenso aber auch der Ausbau der echten Wissenschafts- und Forschungsunis. Der Kompromiss waren dann die Gesamthochschulen auf der einen Seite, als Forschungsuni konzipierte Gründungen wie Bielefeld und Konstanz auf der anderen. Der Unterschied zu heute ist, dass der Staat die Autonomie der Hochschulen damals nicht an die Wirtschaft ausgeliefert hat. Darum konnten sich gute Forschung und gute Lehre auf beiden Seiten halten, in den Gesamthochschulen wie an den Universitäten. Man muss auch sehen, dass der berufsbezogene Bachelor (nur Deutschland hat den obligatorischen Berufsbezug für den Bachelor etabliert!) die Kosten der Berufsausbildung einesteils auf die Öffentlichkeit, anderenteils auf die Auszubildenden überwälzt. Und das wollen die hiesigen Wirtschaftseliten schon lange.

Die Aufgabe aller dieser unterschiedlichen Qualitäten, die wir im europäischen Hochschulraum besessen haben, kostet eine Unmenge Geld. Denn auf einmal muss man bilanzieren, evaluieren, muss man neue Ämter schaffen, in ein Corporate Design investieren und so fort. Wer profitiert davon?

Also erstmal sind die Zahlen, was die öffentlichen Ausgaben für das Bildungs- und Universitätswesen betrifft, ja durchaus ernüchternd. Ein Haupteinwand ist ja auch der, dass für die Bologna-Reform den Universitäten keineswegs mehr Geld zur Verfügung gestellt worden ist. Die öffentlichen Bildungsausgaben in Deutschland sind sinkend, tendenziell. Auch hier ist die Rhetorik das eine und die Wirklichkeit ist das andere. Nach wie vor liegen die öffentlichen Bildungsausgaben in Deutschland unter vier Prozent. Das ist natürlich jämmerlich, wenn man sich anguckt, dass wesentlich ärmere Länder bis zu sieben oder acht Prozent in den Bereich investieren. Ich glaube, wer wirklich davon profitiert, das sind diejenigen, die jetzt bestimmen, wie die öffentlichen Geldströme gelenkt und reguliert werden. Sie werden nämlich so gelenkt und reguliert, dass das öffentliche Geld dem privaten hinterherfließt. Sie brauchen ja nur einen winzigen Privatsektor im Schul-, im Kindergarten-, im Universitätswesen zu etablieren. Wenn Sie den in eine Umgebung setzen, in der das öffentliche Angebot kaputtgespart wird und immer schlechter, dann wird doch das private automatisch immer attraktiver. Wenn Sie diesen Zustand hergestellt haben, lenken die Privaten den Einsatz der öffentlichen Mittel. Und genau das geschieht bei uns augenblicklich.

Woran denken Sie, wenn Sie das Wort „Hochschulfreiheit“ hören?

Da gibt es gar nicht viel zu denken dabei, da gibt es eigentlich nur noch was zu lachen. Hochschulfreiheit ist etwas, was der Staat seit den Humboldtschen Reformen Anfang des 19. Jahrhunderts garantiert, oder garantiert hat. Natürlich haben sich die Staaten mit ihren Nationalinteressen in Forschungsschwerpunkte immer eingemischt. Es gab nie einen machtfreien Raum an der Universität. Sie haben aber einen Staat gehabt, der die Universitäten vor dem direkten Zugriff von Geld- und Wirtschaftsmacht geschützt hat. Und der entscheidende Bruch zu diesem Modell besteht darin, dass die Staaten beschlossen haben, diesen Schutz aufzugeben und sich zurückzuziehen. Hochschulfreiheit ist die Chiffre dafür, dass Staat und Politik die Universitäten nicht mehr gegen den Zugriff der Privatwirtschaft schützen. Und das ist, glaube ich, der entscheidende Punkt.

In Ihrem kürzlich erschienenen Buch mit dem Titel „Wir sind doch nicht blöd. Die unternehmerische Hochschule“ zeigen Sie sehr präzise, wie Hochschulfreiheit, Autonomie und andere positiv besetzte Begriffe missbraucht werden, um der Bologna-Reform zu Akzeptanz zu verhelfen. Können Sie das kurz veranschaulichen?

Bildung, Freiheit, Selbstverwirklichung; der ganze Kanon dieser Hochwertbegriffe, mit denen öffentlich über Bildung gesprochen wird, wird weitergeführt und weitertradiert, weil man weiß, dass diese positiven Wertbegriffe eine positive Resonanz in der Öffentlichkeit haben. Die Bildung ist ein viel geliebtes Beispiel dafür: Die Kanzlerin spricht von der Bildungsrepublik, unternimmt Bildungsreisen, von der Leyen schnürt Bildungspakete für die Kinder von Hartz-IV-Empfängern; Bildung ist ein unbedingt positiver Wert. In einer massendemokratischen Herrschaftsform verstecken sich alle Partikularinteressen hinter unbedingt positiven, einwandsimmunen Wertbegriffen. Und das ist nicht der Missbrauch, sondern der ganz gewöhnliche Gebrauch, der öffentlich von Begriffen gemacht wird.

Besetzung des Roten Hörsaals, Winter 2009, Universität Siegen

Teilweise ist das ja geradezu lächerlich, was dabei zustande kommt. Wenn man sich beispielsweise den neuen Slogan der Universität Siegen anschaut, der ja „Zukunft menschlich gestalten“ heißt…

Als Sprachwissenschaftler würde ich darüber auch bestenfalls schmunzeln. Als Sprachwissenschaftler würde ich sagen, eine Aussage, die man nicht öffentlich negieren kann, ist ohne Information. Das heißt, ich könnte mich nicht hinsetzen und sagen, mein Logo ist „Zukunft unmenschlich gestalten“. Und damit ist die Formel eigentlich semantisch leer.

In „Wir sind doch nicht blöd“ unterstreichen Sie die Ähnlichkeiten, die sich nach der Reform zwischen den Universitäten und Unternehmen der freien Marktwirtschaft ergeben. Und dabei gelangen Sie dann zu dem Schluss, dass in der unternehmerischen Hochschule Studierende gleichzeitig Kunden, aber auch Produkte sind. Wie hängt das zusammen?

Ich glaube, dass eine der Schwierigkeiten, mit der Hochschulreform umzugehen, bei den Studierenden darin besteht, dass sie auf mehreren Ebenen gleichzeitig Markt spielen müssen. Die Universität ist ja in diesem Sinne kein Unternehmen. Sie können eine Universität nicht betreiben wie eine Frittenbude. Sie können nicht sagen: „Wir verkaufen hier diesen Grundkurs Linguistik für so und so viel Euro.“ Es wird aber Markt gespielt auf allen Ebenen. Das heißt, Sie haben Regulationen, die marktförmig werden. Nehmen Sie den durchschnittlichen Studierenden, der ehemals ein politisches Subjekt war, das ein Anrecht darauf hatte, öffentliche Bildungseinrichtungen zu benutzen. Der Studierende ist jetzt ein multipler Antragsteller, der sich, wenn er seinen Bachelor gemacht hat, vielleicht an zehn Universitäten mit zehn unterschiedlichen Eingangsbedingungen für Masterstudiengänge bewirbt. In diesem Punkt ist er ein Selbstvermarkter, der sich anbieten muss. An der Universität angekommen, ist er ein Kunde, der unter Umständen mit seinen Studienbeiträgen bezahlt, und der sagt, wenn ich doch bezahle, habe ich doch auch ein Anrecht auf dieses und jenes. Er muss aber gleichzeitig auch darauf achten, dass er als Ware nicht Handelsklasse C ist und ausgespuckt wird. Er steht auf mehreren Seiten des Marktgeschehens gleichzeitig und muss das irgendwie ausbalancieren. Und ich denke, in dieser Zwangssituation sind die Studierenden lenkbar wie das liebe Vieh.

Wird da der Student nicht irgendwie auseinandergerissen, gevierteilt? Was passiert in seiner paradoxen Lage mit dem Studenten? Was bleibt am Ende von ihm übrig?

Diese paradoxen Strukturen durchziehen jetzt natürlich das ganze Hochschulsystem. Die Universitäten finden sich in einer gespreizten Hochschullandschaft wieder, in der auf der einen Seite Markenuniversitäten gehandelt werden – die Eliteuniversität, Elitestudiengänge, Exzellenzzentren und so weiter. Auf der anderen Seite werden die Arbeitsmarktuniversitäten gehandelt, deren Bachelorstudiengänge employability, also Beschäftigungsmöglichkeit auf dem Arbeitsmarkt sichern sollen. Damit haben Sie praktisch ein Spektrum, und die Universitäten werden wiederum durch die interessierten Akteure auf diesem Spektrum lokalisiert. Wenn eine Universität in der Forschung nicht exzellent ist, wird sie eben für den Arbeitsmarkt optimiert. Das heißt auch, dass die einzelne Universitätsleitung vor der Aufgabe steht, zuzusehen, wie sie sich platziert, ob sie sich Forschung noch leisten oder auf dem Exzellenzmarkt mitmischen kann. Die Resultate werden wiederum die Studierenden auszubaden haben. Wohin das führt, kann man stellenweise schon beobachten. Die Länder handeln mit den Universitäten über Prämien für die Aufnahme zusätzlicher Studierender. Im Rahmen des Hochschulpakts bekommt eine Universität für jeden über ihre Kapazität aufgenommenen Studierenden 20.000 Euro. Da wird im Grunde genommen schon angelegt, dass es für diesen Studierenden gar keine vernünftigen Bedingungen geben kann. Für die einzelne Universität wird es aber sinnvoll, zu sagen, den nehmen wir auf, und von dem, was wir da kriegen, stecken wir vielleicht nur 3.000 Euro in seine Ausbildung, und die anderen 17.000 stecken wir in ein Prestigeprojekt, damit wir ja auch auf der Exzellenzseite mitmischen können.

Ist das die Erklärung für die überfüllten Hörsäle in Siegen?

Dazu müsste ich die Zahlen und Haushaltsdaten in Siegen genauer kennen, das kann ich nicht genau beurteilen.

Die führenden technischen Universitäten Deutschlands kehren in den Ingenieurswissenschaften zum Diplom zurück. Davon hört man zur Zeit überall. Von geisteswissenschaftlichen Fächern, die zum Magister zurückkehren, hat man aber bisher noch nichts gehört. Dabei waren es ursprünglich ja vor allem wirtschaftlich orientierte Studiengänge, die von der Bologna-Reform profitieren sollten, während die Geisteswissenschaften – das war immer ein offenes Geheimnis – von vornherein dazu bestimmt waren, darunter zu leiden. Wie geht das zusammen?

Die Lage ist an dieser Stelle ein bisschen komplex. Wenn Sie sich eine Universität anschauen, dann besteht die ja traditionell teilweise aus Fächern, die immer schon einen klaren Berufsbezug hatten. Wenn Sie Ingenieurswissenschaften studieren, werden Sie Ingenieur, wenn Sie Medizin studieren, werden Sie Arzt, wenn Sie Jura studieren, werden Sie Anwalt oder Richter.

Während wer Philosophie studiert nicht Philosoph werden muss…

…und wer Germanistik studiert nicht unbedingt Germanist. Es gibt Studiengänge mit klarem Berufsbezug und Studiengänge ohne klaren Berufsbezug. Für die Öffentlichkeit gelten Geistes- und Kulturwissenschaften als brotlose Künste, wohingegen Technik- und Naturwissenschaften berufsbezogen ja als „solide“ Fächer gelten. Witzigerweise wehren sich jetzt die Fächer, die ohnehin Berufsbezug haben, gegen den Bachelor bis zum Abwinken. Die Diplomingenieure sind da nur die Spitze des Eisbergs. Auch andere Fächer haben sich bis heute erfolgreich gegen die Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen gewehrt, Jura zum Beispiel. Da, wo Sie einen klaren Berufsbezug haben, tritt das Problem, um das es hier geht, gar nicht auf. Denn warum sollte man den Diplomingenieur aufgeben? Da aber, wo sie keinen klaren Berufsbezug haben, haben sich die Fächer eine Aufwertung ihres öffentlichen Status’ davon versprochen, dass sie gesagt haben: „Wir machen Berufsbezug“. Dass ein Universitätswissenschaftler in der Philosophie, der Germanistik oder der Sprachwissenschaft Sie aber nicht auf einen bestimmten Beruf hin ausbilden kann, das müsste eigentlich jedem klar sein. Wenn ich mir angucke, in welche Berufe meine Studierenden gehen, und ich frage mich, wie sollte ich die auf diesen Beruf vorbereiten, das ist völlig absurd, das geht gar nicht. Die Universitäten erteilen den Studierenden das Versprechen eines Berufsbezugs, aber sie verschweigen, dass sie das überhaupt nicht einlösen können. Die können Ihnen beibringen, eine Präsentation zu machen oder ein Schlichtungsgespräch zu führen. Aber dazu braucht man keine Universität.

Noch einmal: Warum setzen sich die Geisteswissenschaften nicht genauso erfolgreich gegen den Bachelor zur Wehr wie es die berufsbezogenen Studiengänge machen?

Ich glaube, dass sie es deswegen nicht tun, weil in der Öffentlichkeit ja eine Voraussetzung der „Reform“ gewesen ist, dass die akademische Ausbildung in den Geisteswissenschaften für weltfremd, für akademisch im negativen Sinne des Wortes und für nicht berufsqualifizierend galt. Denken Sie an den Topos vom taxifahrenden promovierten Philosophen. Dieses Stigma wollen die Geisteswissenschaften loswerden, und deswegen haften sie zäher am Bachelor und dem Bolognaprozess als die anderen. Witzigerweise bemerken sie aber nicht, dass der Bolognaprozess ihnen nur mehr Nachteile bringt. Dadurch, dass die Studiengänge in den Geisteswissenschaften das Etikett ‚berufstauglich‘ tragen, werden ja nicht mehr Geisteswissenschaftler auf dem Arbeitsmarkt eingesetzt oder gebraucht.

Die Hochschulrektorenkonferenz hat die Reform im Vorjahr für unumkehrbar erklärt.

Unumkehrbar, das ist so ein schönes Wort. Als jemand, der sein Leben lang politische Kommunikation analysiert, würde ich sagen, wenn ein Akteur öffentlich behaupten muss, ein Prozess sei unumkehrbar, dann hat er die Umkehrpläne schon in der Tasche. Ansonsten würde er davon gar nicht reden.

Meinen Sie persönlich, man sollte die Reform reformieren, oder muss man sie gänzlich rückgängig machen?

Meines Erachtens ist langfristig ein öffentlich und politisch verantwortetes Wissenschaftssystem ohne Alternative. Ich glaube, dass die Privatisierungen von einer freien Forschungs- und Wissenschaftsszene nur ganz bescheidene Reste übrig lassen werden, und dass man alle Formen verdeckter und offener Privatisierung auf diesem Gebiet ablehnen muss.

Was passiert denn mit einer Gesellschaft, die sich gegen freie Forschung entscheidet? Eine Gesellschaft, die das nicht mehr verteidigt, was verliert die genau?

Ich glaube, dass diese Gesellschaft unbedingt ein Organ, eine Institution braucht, eine wirklich unabhängige Reflexionsinstanz, die in der Lage ist, die, sagen wir mal, naturwüchsigen Abläufe – man müsste fast sagen die marktwüchsigen Abläufe – in dieser Gesellschaft zu kontrollieren und zu warnen, wenn Dinge aus dem Ruder laufen. Hätte man sich nicht vielleicht eine Wirtschaftswissenschaft gewünscht, die schon vor dem Zusammenbruch der Geldinstitute in der Finanzkrise gesagt hätte: „Leute, hier läuft irgendwas schief“? Oder eine Atomwissenschaft, die gesagt hätte: „Leute, wir müssen uns vielleicht erst mal überlegen, wo wir mit dem radioaktiven Zeug hin können“? Eine Gesellschaft, die auch die Wissenschaft und die Bildung den Marktgesetzen unterwirft, verliert ein wichtiges Kontrollorgan.

Wie ist Ihre Prognose? Werden wir den Sturz der Reformen erleben?

Da müsste man Prophet sein, um zu diesen Dingen überhaupt etwas sagen zu können. Was mich in der Hauptsache wundert, ist, wie konflikt- und reibungsfrei diese doch wirklich radikale Umstülpung des gesamten Hochschulsystems bislang vonstatten gegangen ist. Die Studierenden haben sich bisher nicht nennenswert gewehrt, und die Lehrenden auch nicht. Es hat lange relativ wenige Reibungen gegeben, obwohl es meines Erachtens unendlich viele Punkte gegeben hat, an denen solche Reibungen zu erwarten gewesen wären. Der studentische Protest ist immer mal wieder ansatzweise da gewesen, aber immer abgefangen worden. Durch Versprechungen, die dann gemacht werden. Und vieles hat ja bei dieser Reform damit zu tun, dass die Akteure, die sie vorantreiben, sich öffentlich als Sachwalter der Studierenden präsentieren. Die behaupten, sie seien ihre Sachwalter und wollten dafür sorgen, dass die ganzen weltfremden Profs sie endlich berufsbezogen ausbilden würden. Ich glaube, dass diese Zusammenhänge von den Betroffenen noch nicht wirklich durchschaut werden.

Wenn in den vergangenen Jahren in Deutschland Studenten überhaupt in großer Zahl auf die Straße gegangen sind, dann meistens gegen die Studiengebühren. Als in Siegen der Rote Hörsaal besetzt wurde, hat man sich dort vor allem über überfüllte Seminare oder Anwesenheitspflichten beschwert. Das schien mir alles ein wenig so, als behandele man die Symptome einer Krankheit, aber nicht die Krankheit selbst. Zeichnet sich da vielleicht eine Gesellschaft ab, die weniger „das Gute an sich“ als „das Beste für mich“ interessiert?

(Lacht) Wenn Sie über den studentischen Protest sprechen, ist es für mich erst mal naheliegend, dass das die Dinge sind, die den Studierenden unmittelbar auf den Nägeln brennen. Die Studierenden machen die Erfahrung, einerseits als Kunden hofiert zu werden, andererseits aber nicht in ihre Lehrveranstaltungen reinzukommen. Sie werden auf dieser Ebene nicht ernst genommen. Sie müssen zwar bezahlen, aber für dieses Bezahlen erfahren sie jedes Semester eine weitere Verschlechterung ihrer Studienbedingungen. Und das hat ein gewisses Irritationspotenzial bei den Studierenden. Dieses bei den Symptomen-Bleiben hat, glaube ich, damit zu tun, dass den Studierenden die politische Perspektive fehlt. Sie bemerken die unmittelbare Behinderung ihrer Entfaltungsmöglichkeiten vor Ort an den Universitäten. Vielleicht wissen sie aus den Erzählungen von Kommilitonen aus älteren Jahrgängen, dass das Studium früher etwas anderes war als heute. Und sie erfahren diese Differenz unmittelbar. Ich glaube aber, dass die Mehrzahl der Studierenden nicht begriffen hat, dass sie Zeugen eines Systemwechsels in der Bildung sind und nicht nur Zeugen von graduellen, sie persönlich betreffenden Verschlechterungen der Studienbedingungen vor Ort. Das ist wirklich ein Systemwechsel. Wenn es in diese Richtung weitergeht, wird ein Studium nie mehr das sein, was es gewesen ist. Sondern es wird das Treträdchen sein, wo es um Module, Kreditpunkte und so weiter geht. 

Glossar neuakademischer Fahnenwörter: Von A wie Autonomie bis Z wie Zielvereinbarung

Auszug aus Clemens Knoblochs neuem Buch „Wir sind doch nicht blöd. Die unternehmerische Hochschule“.

AUTONOM

Autonom ist, wer sich das Gesetz seines Handelns selbst zu geben vermag. Das lehrt die Wortgeschichte. In der Pädagogik ist Autonomie ein Hochziel. Zu ihr soll das Objekt der Erziehung befähigt werden, was ja paradox genug klingt. Die jugendliche Subkultur, deren Angehörige sich als „Autonome“ bezeichnet haben, würden wohl nichts davon wissen wollen, dass Staat oder Erzieher ihnen die Autonomie gewährt hätten. Man bekommt sie nicht geschenkt, man nimmt sie sich heraus. Das ist an den Universitäten anders. Hier erweist sich die verordnete Autonomie schon darin als Teil eines marktförmigen Steuerungsregimes, dass sie zuerst als Finanzautonomie die Bühne betritt: Das Land überweist einen Globalhaushalt, wofür er ausgegeben wird, entscheidet die Hochschule selbst.

Je schlimmer die Verhältnisse vor Ort, desto lockender klingt das Versprechen der Finanzautonomie: kurze Wege, wenig Bürokratie, Entscheidungen fallen vor Ort. Tatsächlich behält aber der Geldgeber die Macht, jede Autonomie in selbstverantwortliche Mängelverwaltung umzuwandeln. An den Universitäten in NRW umfasst der garantierte Globalhaushalt mit der Einführung des Hochschulfreiheitsgesetzes 2007 nicht einmal mehr die volle Lohnund Gehaltssumme der Uniangehörigen. Qua Flexibilisierung wird ein variabler Teil der Mittelzuweisung an Leistungskriterien geknüpft. Die Leistung, die bei Universitäten, Fachbereichen und Professoren mit zusätzlichen öffentlichen Mitteln belohnt wird, besteht in der Einwerbung privater Drittmittel. Nur indem jede Hochschule beständig zusätzlich private Finanzquellen aufschließt, kann sie (immer auf Zeit) sicherstellen, dass die öffentlichen Mittel weiter fließen. Sie fließen jetzt freilich den privaten Mitteln hinterher. Was gemeinhin für unmöglich gilt: den Kuchen zu essen und ihn weiterhin zu haben – den Ländern gelingt das mühelos. Sie gewähren Finanzautonomie und behalten die Zügel fester in der Hand als je zuvor.

Das Modell Autonomie ist vielfach erprobt bei der Privatisierung öffentlichen Eigentums: bei Schulen, Krankenhäusern, öffentlichen Verkehrssystemen. Empfohlen wird es von OECD, WTO und Weltbank, und keineswegs nur den Entwicklungsländern. Wo es implementiert wird, da tritt an die Stelle einer einheitlichen öffentlichen Verwaltung ein Quasi-Markt mit intensiver Konkurrenz, Verdrängungswettbewerb und möglichst zahlreichen operativ autonomen Einheiten.

Ein solchermaßen kannibalistisches Regulationsmodell enthält auch einige ziemlich sicher funktionierende semantische Selbstverstärker. Die ökonomischen Gewinner der Konkurrenz, die Exzellenzund Elitehochschulen, werden selbstverständlich das Hohelied der Autonomie mit Vergnügen weiter singen. Die übrigen werden mehr Autonomie brauchen, um sich im Mittelfeld behaupten und gegen Abstürze sichern zu können. Dass künftig der Ruf nach Autonomie an Intensität verlieren könnte, ist also nicht zu befürchten.

EFFIZIENZ

Effizienz ist ein Zauberwort, das sich an den Hochschulen (aber nicht nur dort) auf das Verhältnis von Mitteleinsatz und Erfolg bezieht. Die ökonomische Herkunft steht ihm ins Gesicht geschrieben, aber längst tummelt sich das höchst imperative programmatische Wort überall da, wo ein gesellschaftliches Feld ins Visier privater Marktkolonisierung geraten ist. Die Universitäten galten im Vorfeld der Marktreform als mehrfach ineffizient. Weder bereiteten sie gezielt auf die Berufe der Wissensgesellschaft vor, noch brachten sie alle ihre Studierenden zu einem zeitigen Abschluss.

Als universitärer Programmbegriff richtet sich Effizienz gegen alles, was mit der Tradition des Suchens, Probierens, Experimentierens im Studium zusammenhängt. Wer im ersten Semester nicht genau weiß, was er will, den bestraft das Leben. Er studiert ziellos und ineffizient, und das strikte Regiment der Modulhandbücher wird ihn entweder rasch wieder auf Kurs bringen – oder ausstoßen.

Der Bielefelder Systemsoziologe Niklas Luhmann hat schon vor 20 Jahren vorgeschlagen, in jedem Fach zwei alternative Studienoptionen einzuführen. Eine zielstrebig berufsbezogene mit klaren Vorschriften und Abfolgen, und eine weitestgehend offene, die zu jedem Zeitpunkt möglichst viele (auch fachexterne) Optionen für weitere Selektion bestehen lässt. Für die Absolventen des ersten Zweiges sollte es eine klare, aber begrenzte Berufsperspektive geben, für die des zweiten Zweiges weniger Sicherheit, aber vielfältige Möglichkeiten der Selektion und Kombination von fachlichen Themen und Inhalten – und weniger berufliche Sicherheit. Aus einem Dilemma wird damit eine Wahlmöglichkeit. Also eben das, was Effizienzprediger aus den verschulten und berufsbezogenen Studiengängen wegrationalisieren wollen.

Gegenüber Studierenden und Mitarbeitern flankiert die Forderung nach Effizienz gewöhnlich höheren Druck und schärfere Überwachung. Besonders gefürchtet ist der Ausdruck in kleinen Fächern, da, wo es noch respektable akademische Betreuungsverhältnisse gibt, wo also kein Massenbetrieb herrscht, sondern die Lehrenden ihre Studierenden noch kennen und vice versa. Das ist immer mit vergleichsweise geringen Absolventenzahlen verbunden und spricht für gefährlich niedrige Effizienzgrade. Der Rotstift ist dann selten weit entfernt, er kommt im Zeichen von Synergie, Zusammenlegung und – Effizienz.

EVALUATION

Durch umfassende Evaluation wird dann stets aufs Neue geprüft, ob die geforderte Effizienz auch wirklich da ist. Das Verfahren entstammt der Überprüfung von Kundenzufriedenheit in der Wirtschaft, bewahrt aber einen partizipativen und demokratischen Charme, der sich überall entfalten kann. Wer sich gegen Evaluation zur Wehr setzen wollte, der müsste den Einwand fürchten, er habe etwas zu verbergen. Am Ende jeder Lehrveranstaltung erhalten die Studierenden einen mehr oder weniger umfänglichen Fragebogen: War der Prof immer gut vorbereitet und verständlich? War der Stoff gut aufbereitet und zu bewältigen? Sind Medien zum Einsatz gekommen? Sind die Studierenden zufrieden mit den vermittelten Kompetenzen? Die Ergebnisse solcher Befragungen sollen den Lehrenden zu laufender Selbstoptimierung anhalten. Sie fördern Vergleich und Konkurrenz. Wird womöglich der Kollege besser evaluiert?

Was unscheinbar mit der einzelnen Lehrveranstaltung beginnt, setzt sich im Größeren fort. Evaluiert werden ganze Fächer, Fachbereiche, Forschungsprojekte, Universitäten. Stets sind alle Ebenen der Hochschule angehalten, sich selbst zu evaluieren. Erst wenn Selbst- und Fremdeinschätzung verglichen werden können, zeigt sich, wo Handlungsbedarf besteht. Es blüht der Handel mit Evaluationsprogrammen, mit Softwarepakten, die Vereinheitlichung versprechen. Nicht selten stammen sie – wen wundert´s? – aus Ablegern des Hauses Bertelsmann, wenn es um Schulen oder Hochschulen geht. Wer die Kriterien der Evaluation festlegt, der bestimmt die Richtung, welche die evaluierte Institution einzuschlagen hat. Evaluationsergebnisse füttern und legitimieren Entscheidungen, mit vermeintlich objektiven Daten. Sie wirken daher nicht nur demokratisch, sondern auch exakt und wissenschaftlich. Und schon lange bevor die laufende Evaluation mit ihren Ergebnissen in Strukturentscheidungen umgesetzt wird, hat sie die evaluierten Hochschulangehörigen gründlich verändert. Die nämlich verhalten sich nicht anders als Studierende, die für eine Prüfung lernen. Sie stellen sich ein auf das, was geprüft wird, und ignorieren alles andere. So wird die harmlose Diagnose zur ruinösen Therapie. So lange jedenfalls, wie die Evaluierten mitmachen und sich damit trösten, dass sie ja auch als Evaluateure auftreten und anderen den Spiegel vorhalten können.

EXZELLENZ/ELITE

Wer dann alle Evaluationen mit Bravour überstanden hat und die entscheidenden Rankings anführt, der hat Anspruch auf das Prädikat: Exzellenz. Er gehört zur Elite. Pate stehen die angelsächsischen Centers of Excellence, hierzulande auch eingedeutscht als Leuchttürme der Wissenschaft. Klar: Exzellent will jeder sein. Der Wunsch von Wissenschaftlern und Forschungsinstitutionen, sich fachlich auszuzeichnen, treibt den Wissenschaftsbetrieb von jeher. Der sogenannte Exzellenzwettbewerb gibt diesem Antrieb eine gesellschaftliche Form. Bezeichnenderweise ist es die Form eines Wettbewerbs um zusätzliche staatliche Forschungsmittel, in der sich Exzellenz erweisen soll. Mit diesen Mitteln erkauft sich die ausgezeichnete Hochschule die Chance, zumindest zeitweise einen Teil ihrer Ressourcen dem aufreibenden Massenbetrieb zu entziehen. Wo das Exzellenz-Label sichtbar prangt, da entstehen Forschungszentren, die über reichlich bemessene Einladungsmittel für internationale Spitzenforscher verfügen. Solche Einladungen bringen symbolisches Kapital, sie ehren alle Beteiligten und befreien die Eingeladenen temporär aus den Zwängen der Lehre und der Bürokratie an ihren heimischen Hochschulen. Sie erlauben eine Auszeit, die für Forschung genutzt werden kann, und sind ergo begehrt. Je drückender die Verhältnisse an der Normaluni, desto heller glänzt Exzellenz als der einzige Ausweg. Die exzellente Parallelgesellschaft wird nach Kräften angesteuert – und trägt so indirekt dazu bei, das Kerngeschäft an den überfüllten Hochschulen weiter zu schwächen. Indem es ihnen die Wissenschaftler entzieht, die über exzellente Verbindungen verfügen. Man kann das natürlich auch so formulieren, dass wenigstens an einigen ausgewählten Orten des Hochschulsystems wieder möglich wird, was überall nottäte: überschaubare Lehr- und Forschungsgemeinschaften auf hohem Niveau. Der Ausweis von Exzellenz ist allemal: mehr Geld und bessere Arbeitsverhältnisse.

Ein handgreifliches Ergebnis der inflationären Exzellenzrhetorik besteht in der Abwertung der Normaluni, die so in einen aussichtslosen Wettkampf getrieben wird und alle Hebel in Bewegung setzt, wenigstens auf einem Forschungsfeld ihre Exzellenz unter Beweis zu stellen – was man wiederum nur dann tun kann, wenn man sich entschlossen den Massenbetrieb vom Hals schafft und die so eingesparten Mittel und Kräfte ebenso entschlossen in der Außendarstellung konzentriert. Exzellenzfassaden sind das Gebot der Stunde. Exzellenz muss wie eine Markenware gemanagt werden. Und noch etwas fällt auf. Wer die im staatlichen Exzellenzwettbewerb gekürten Sieger durchmustert, der trifft stets auf alte Bekannte, auf die üblichen Verdächtigen gewissermaßen. Es sind die Hochschulen, die bundesweit das Drittmittelranking anführen, die in den Propagandaschriften der neuen Hochschule für ihre unternehmerische Organisation gerühmt und den übrigen als Benchmarks vorgehalten werden, die als Zentren hochtechnologischer Industrieforschung bekannt sind: die TH Aachen, die TU München, die LMU München, die Universität Karlsruhe, die FU Berlin. Das schürt den Verdacht, Exzellenz sei bloß ein weiterer Baustein bei der ökonomischen Kolonisierung der Hochschulforschung.

PROFILBILDUNG

Profilbildung ist ein unwiderstehlicher Imperativ der Effizienzrhetorik. Ressourcen sollen konzentriert und nicht gestreut werden. Zur angestrebten Differenzierung der Universitätslandschaft gehört, dass die Volluniversität, die über das gesamte Spektrum der Fächer und Fachbereiche in Forschung und Lehre verfügt, ein Auslaufmodell werden soll. Gewiss, an jeder Hochschule gibt es kleinere und größere, stärkere und schwächere Bereiche. Ein Segen, müsste man eigentlich sagen: Wo wenige Studierende auszubilden sind, blüht die Forschung und die Betreuung der Lernenden ist exzellent. Aber im Wettbewerb um verknappte Mittel kann eigentlich jeder ins Visier und auf die Opferliste der Profilbildung gelangen. Angestrebt ist vor allem die Trennung von Lehr- und Forschungsunis.

Furcht und Schrecken verbreitet die Profilbildung da, wo man ohnehin Schwierigkeiten hat, den ökonomischen Nutzen des eigenen Tuns sinnfällig zu demonstrieren: in den Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften. So fehlt es denn auch nicht an teils höhnischen, teils mehr oder minder gut gemeinten Ratschlägen für die ehemals hegemonialen Bildungsfächer an der Universität, für Germanistik, Philosophie und Kunstgeschichte. Klaus Landfried, Präsident der HRK von 1997 bis 2003, will sie „auf deutlich weniger Standorte als heute“ konzentrieren und empfiehlt die Kombination „wirtschaftsnahes Fach plus Geisteswissenschaft“ als Nebenfach. Von sprachkundigen, geschichtsbewussten und kunstsensiblen Managern ist da die Rede. Dan Diner, Historiker in Leipzig und Jerusalem, möchte die Geisteswissenschaften mit den Technologien verbinden und auf deren passgenaue kulturelle Implementierung festlegen („Cultural Engeneering“ heißt das). So könnten sie als kulturelle Standortvorteile in die ökonomische Wertschöpfung eingehen. Vor Ort kann dann ein Hochschulratsvorsitzender auch schon einmal dafür Sorge tragen, dass ein real existierendes, geisteswissenschaftlich geprägtes Profil entsorgt und durch ein neues, wirtschaftstauglicheres ersetzt wird, wie jüngst an der Universität Siegen zu beobachten war. Axel Barten, Chef eines örtlichen Maschinenbaubetriebs und (inzwischen zurückgetretener) Vorsitzender des Hochschulrates, versuchte da, einen neuen Rektor zu installieren, der die Umprofilierung der Hochschule hin zu den ökonomisch attraktiven Ingenieurwissenschaften bewerkstelligen sollte. Vorgesehen war die Streichung und Umwidmung von 65 Professuren – unvorstellbar ohne die Streichung kleiner Fächer und Fachbereiche. In Siegen ist es den gewählten Hochschulgremien (mit Unterstützung regionaler und überregionaler Medien) noch einmal gelungen, diese Zwangsprofilierung zu verhindern. Der Versuch zeigt jedoch, was unter dem Imperativ der Profilbildung möglich ist.

QUALITÄTSSICHERUNG

Mit der Ersatzdroge Methadon ist die allgegenwärtige Rhetorik der Qualitätssicherung verglichen worden. Verabreicht wird das Mittel, um den schrittweisen Entzug handfester Ressourcen (vor allem: öffentlicher Mittel) erträglicher zu machen − den stöhnenden Universitäten selbst und vor allem der Öffentlichkeit. Qualität ist nämlich so unbedingt gut und wichtig, dass jede Gegenwehr vollkommen zwecklos wird. Was im Namen der Qualitätssicherung etabliert wird, muss im Interesse aller sein. Allein auf den ersten vier Seiten eines HRK-Papiers zur Qualitätssicherung in der Lehre verbindet sich das hübsche Fahnenwort mit den folgenden (gleichfalls äußerst hochwertigen) Adjektiven: flächendeckend, nachhaltig, effizient, umfassend, einheitlich, permanent, dauerhaft und standardisiert. Natürlich muss die Qualitätssicherung auch ständig „weiter optimiert“ werden! Weit weniger klar ist, worin die Qualität einer Universität bestehen soll. So viel Überschwang macht misstrauisch.

Akkreditierung, Evaluation, Ranking – das ganze System der Kennziffern und Berichtspflichten segelt unter der Flagge der Qualitätssicherung. Und das, obwohl die Ressourcen, die es verzehrt, der Qualitätssicherung tatsächlich entzogen werden. Keine Zielvereinbarung, die nicht auch darauf zielt, die Qualität von Lehre und Forschung zu verbessern. Angesichts der Realität überfüllter Hörsäle und überforderter Verwaltungen klingt der Ruf nach Qualität immer plausibel. Und wer sich aus der öffentlichen Finanzierung der Hochschulen zurückziehen möchte, der tut daran, dem Publikum nachhaltig zu vermitteln, dass er sich auch weiterhin um deren Qualität sorgt.

WET TBEWERB

Das beste Mittel der Qualitätssicherung ist allemal der Wettbewerb. Der gilt im neoliberalen Weltbild als universeller Garant von Fortschritt und Gemeinwohl. Zum Staat steht er in komplementärem Verhältnis. Mehr Wettbewerb – Weniger Staat, das ist die Zauberformel auch für die Universitäten. Für den Staat bleibt die Aufgabe, im eigenen Rückzug den umfassenden Wettbewerb der Hochschulen in Szene zu setzen. Spektakulär, mit erheblichem Medienecho, tat er das jüngst im Exzellenzwettbewerb um den Status der Elitehochschule. Konkurrieren sollen die Universitäten um ihre Kunden und um ihre Abnehmer, um Forschungsmittel und um (die besten) Wissenschaftler, um Rangplätze in der Welt- und Bundesliga der Universitäten. Dass Hochschulen und Wissenschaftler immer besser sein wollen als die anderen, ist zweifellos der Normalzustand.

Wer würde sich auf die Mühen der Wissenschaft einlassen, wäre er nicht überzeugt, die Anerkennung der Fachkollegen erwerben zu können? Der staatlich verordnete Wettbewerb freilich schwächt ausgerechnet diese wertvollen Motive. Denn er dreht sich um Mittel, Zahlen und Marktwerte.

Jeder Wettbewerb bringt Sieger und Verlierer hervor. Im Glaubensbekenntnis der Marktreligion gilt jedoch der Satz, die Gesamtheit sei immer auf der Siegerseite des Wettbewerbs. Alle bisherige Erfahrung mit Schul- und Bildungssystemen, die auf Wettbewerb umgestellt wurden, belegen das Gegenteil. Was sich verstärkt, ist allein die soziale Selektivität des Bildungswesens. Bei den gut ausgestatteten (und häufig privatisierten) Gewinnern des Wettbewerbs sammeln sich die, welche über reichlich Geld und kulturelles Kapital verfügen. Die anderen haben das Nachsehen.

WISSENSGESELLSCHAFT

Wir leben in einer Wissensgesellschaft. Wer wollte das bestreiten? So würde Loriot vermutlich kommentieren. Die Diagnose ist im Zeitalter der informationstechnologischen Revolution und des Internets von so banaler Evidenz, dass sie keiner weiteren Begründung bedarf – und diese Evidenz überträgt sich auch gerne auf alles, was mit der Wissensgesellschaft begründet wird. Die Wissensgesellschaft gleicht einer Monstranz. Was in puncto Hochschulreform hinter ihr hergetragen wird, das strahlt in ihrem Glanze. Die Suggestion des Epochenbruchs, die mit dem Fahnenwort Wissensgesellschaft einhergeht, macht plausibel, dass die Universität des 19. und 20. Jahrhunderts hoffnungslos veraltet ist. Keine bildungspolitische Sonntagsrede kommt heute ohne die Anmutungen der Wissensgesellschaft aus. Was auch immer wir tun an der unternehmerischen Hochschule, wir tun es, um in der neuen Epoche einer wissensbasierten Produktionsweise bestehen zu können. Ganz wie die Globalisierung wird auch die Wissensgesellschaft aufgerufen, um Veränderungsdruck gleichzeitig zu erzeugen und zu begründen.

Die Erfahrung freilich zeigt, dass als Wissen gar nicht mehr gelten soll, was sich nicht zugleich auch in der Kapitalverwertung als nützlich erweist. Bildungswissen ist eine unverwertbare Privatsache. In der Wissensgesellschaft zählt die Suggestion, Wissen sei – anders als Erdöl und Maschinen – eine zukunftsträchtige Produktivkraft, die jedem zur Verfügung steht. Eine demokratische Ressource gewissermaßen, die an Hochschulen produziert und gerecht verteilt wird. Wer das Zeug dazu hat, kann sie erwerben und am Arbeitsmarkt kapitalisieren. Bildungspolitik ersetzt Sozialpolitik, das ist die neoliberale Nachricht. Wer nicht genug oder das falsche Wissen erworben, wer am Markt vorbei studiert hat, der kann sich hinterher nicht beklagen. Seine Chance hatte er schließlich. Sein Problem, wenn er sie nicht gescheit genutzt und womöglich Philosophie oder eine andere brotlose Kunst studiert hat. Die rhetorischen Potenziale der Wissensgesellschaft liegen darin, dass Wissen wahlweise emphatisiert oder aber banalisiert werden kann. Es erscheint als der Rohstoff der Zukunft und zugleich als eine leicht verderbliche Ware. Nicht umsonst bläut man uns ein, dass Wissen im Handumdrehen veraltet. In der Produktion wird es tagesfrisch konsumiert, und wenn wir nicht mit veralten wollen, müssen wir ständig umlernen. Die dümmliche Metapher von der Wissensexplosion macht auch dem Letzten klar, dass lebenslanges Lernen im neoliberalen Fitnessstudio angesagt ist. Und nicht etwa dauerhafte Erkenntnisse und distanzierte Bildung. So lange das Wissen Bildung hieß, konnte es sich nämlich einbilden, etwas Besseres zu sein als Rohstoff für die Kapitalverwertung. Damit ist es nun vorbei.

ZIELVEREINBARUNG

Und mit der Zielvereinbarung schließt sich der Kreis zur Autonomie. Die aus der Staatsaufsicht entlassene unternehmerische Universität ist jetzt kein Befehlsempfänger mehr. Als freies Marktsubjekt kann sie Vereinbarungen schließen, über ihre Mittel nach Belieben verfügen, sich Ziele und Schwerpunkte setzen. All das regelt sie in freien Kontrakten mit ihrer Umwelt. Das jedenfalls suggeriert die rhetorische Fiktion der Zielvereinbarung. Die Realität sieht etwas anders aus, ein wenig prosaischer.

Wetterfest gemacht in der Welt des Outsourcing und der organisierten Scheinselbstständigkeit, haben die Prinzipien und Redeweisen des modernen Kontraktualismus jetzt auch an den Universitäten Fuß gefasst. Wir warten eigentlich nur noch darauf, dass auch Haftanstalten künftig Zielvereinbarungen mit ihren Insassen über deren Resozialisierung abschließen. Keine Hierarchie, die ihre Macht- und Gewaltverhältnisse nicht unter der Form des Vertrags versteckt. Die Gesellschaft als freie Assoziation von Individuen und Gruppen, die untereinander Verträge schließen – das klingt fast nach einer neoliberalen Parodie auf die klassenlose Gesellschaft. Schüler schließen Zielvereinbarungen mit ihren Lehrern, Professoren mit ihren Dekanen, Hochschulen mit dem zuständigen Landesministerium. Der Effekt ist einigermaßen klar: Alle faktischen Zwänge werden mit dem Anschein versehen, sie seien aus freien Stücken von allen Beteiligten eingegangen worden. Kein Mensch kann aufbegehren gegen eine Zumutung, die in einer Zielvereinbarung formuliert ist. Er hat sie ja selbst unterschrieben. Wer die Hand aufhalten muss, der kann nicht die Faust ballen. So hieß es früher. Wer gezwungen ist, Zielvereinbarungen zu unterschreiben, der kann nicht einmal mehr die Hand aufhalten. Was auch immer das Land einer Hochschule überweist, die Haushaltssumme legt es ebenso fest wie die Bedingungen der weiteren Zahlung. Die Hochschulen können mit den Zähnen knirschen, die Unterschrift verweigern können sie nicht.

In der gültigen Zielvereinbarung zwischen dem Land NRW und der Universität Siegen erklärt die Hochschule über 14 Seiten, was sie alles zu tun gedenkt in den nächsten Jahren: mehr Absolventen in der Regelstudienzeit, mehr Drittmittel, mehr Professorinnen einstellen und so weiter. Das Wenigste davon liegt wirklich in ihrer Macht. Die Hochschule erklärt einfach, all das zu wollen, was das Land von ihr verlangt. Wer den Schaden hat, braucht bekanntlich für den Spott nicht zu sorgen. Die Absichtserklärung des Landes findet dagegen auf zwei Seiten Platz. Der wichtigste Satz, den diese beiden Seiten enthalten, dürfte wohl sein, dass alle Landeszusagen unter Haushaltsvorbehalt stehen.

Damit sind wir am Ende unseres kleinen Rundgangs durch die sprachlichen Fassaden der unternehmerischen Hochschule. Kein Zweifel: Das Spalier der neuakademischen Fahnenwörter ist eindrucksvoll. Auf der dem Publikum zugewandten Außenseite vermittelt es den Eindruck, man sei Zeuge eines umfassenden Aufbruchs der deutschen Hochschulen in eine glänzende Zukunft: Erwacht aus der Schockstarre nach PISA erhebt sich die alte Bildungs- und Wissenschaftsgroßmacht endlich wieder und strebt nach neuen Ufern. Dieser Eindruck ist vermutlich beabsichtigt. Ob er einer genaueren Prüfung standhält, sollen die folgenden Kapitel zeigen. Vorerst fällt auf, dass die Fahnenwörter des Neuakademischen auf der dem Publikum abgewandten Innenseite verblüffende Gemeinsamkeiten aufweisen:

➢ Allesamt stehen sie für einwandsimmune programmatische Werte, die nicht verneint werden können. Wer sich gegen sie aussprechen wollte, der hätte sich als ernsthafter Diskutant selbst disqualifiziert. Effizienz muss man einfach wollen.

➢ Zugleich ist völlig unklar und unterspezifiziert, was Ausdrücke wie Qualität, Profil, Autonomie im Zusammenhang der Universität konkret bezeichnen.

➢ Sie sind „Konsensfiktionen“ und als solche zustimmungspflichtig, solange derjenige, der die Fahnenwörter schwingt, zugleich die Macht hat, sie in konkrete Maßnahmen umzusetzen.

Kein Wunder also, dass man sich an Alice im Wunderland erinnert, wo es mit der Bedeutung sprachlicher Ausdrücke ebenfalls eine eigene Bewandtnis hat: „Aber ´Glocke´ heißt doch gar nicht ein >einmalig schlagender Beweis<“, wandte Alice ein. „Wenn ich ein Wort gebrauche“, sagte Goggelmoggel in recht hochmütigem Ton, „dann heißt es genau, was ich für richtig halte – nicht mehr und nicht weniger.“ „Es fragt sich nur“, sagte Alice, „ob man ein Wort einfach etwas anderes heißen lassen kann.“ „Es fragt sich nur“, sagte Goggelmoggel, „wer der Stärkere ist, weiter nichts.“