Rio Piatúa
Bild: David Schmidt

Alberto Acosta, Ecuador: „Wasser hat ein eigenes Recht“

Der Wirtschaftswissenschaftler und Intellektuelle Alberto Acosta über Rechte der Natur, indigene Vorstellungen und die Frage, ob das Konzept auch für Deutschland taugt.

Wie lässt sich der Natur ein höherer Stellenwert einräumen, der juristisch belastbar ist? Der ecuadorianische Wirtschaftswissenschaftler Alberto Acosta erörtert im Interview ein kontroverses Konzept, das mittlerweile auch in Europa immer mehr Anhänger findet.

Das Interview erschien zusammen mit einer Reportage über den Kampf der Kichwa um einen Fluss am 25. Februar 2023 in den Zeitungen der Südwest-Presse und der Märkischen Oderzeitung.

Alberto Acosta Espinosa ist emeritierter Professor für Wirtschaftswissenschaften, Politiker und Autor (u.a. “Buen Vivir – Vom Recht auf das Gute Leben”, Oekom Verlag 2015). Er war 2007 bis 2008 Präsident der Verfassungsgebenden Versammlung Ecuadors und wirkte daran mit, dass die Rechte der Natur im Grundgesetz verankert wurden. Er engagiert sich für das Konzept des Buen Vivir, des “guten Lebens”.

Erschienen am 25.02.2023 in Südwest Presse

Herr Acosta, Naturrechte sind seit 2008 in der ecuadorianischen Verfassung verankert, an deren Reform Sie mitgewirkt haben. Was sind Naturrechte?   

Die Rechte der Natur hinterfragen jene dominante Aussage, die den Menschen außerhalb der Natur sieht, um sie zu beherrschen. Es ist für uns normal, dass Aktiengesellschaften Rechte haben, nicht aber ein Fluss oder ein Wald. Diesen Anthropozentrismus müssen wir überwinden. Als wir in Ecuador die Naturrechte anerkannt haben, haben wir der Natur das Recht gegeben, ein Subjekt zu sein.  

Vor Gericht zählen seitdem nicht mehr nur die Interessen von Menschen und Unternehmen, sondern auch die von Tieren, Pflanzen und Ökosystemen. Jeder kann vor jedem Gericht eine Klage im Namen der Natur einreichen. Trotzdem geht die Zerstörung des Regenwalds durch Öl- und Bergbaukonzerne weiter. Wieso?  

Ich bin kritisch gegenüber der Situation in Ecuador. Aber trotzdem gibt es Gründe für Optimismus. Inzwischen wurden fast 60 Gerichtsentscheidungen im Sinne der Natur gefällt. Es geht langsam voran, aber es passiert etwas. Das Problem ist, dass wir nicht mehr viel Zeit haben, um die Zerstörung der Natur und den Klimawandel aufzuhalten. Immer wieder fragen Leute: Warum setzen wir uns für Naturrechte ein, wenn sie nicht in der Praxis umgesetzt werden? Ich würde darauf antworten: Die Rechte der Frauen werden auch nicht immer respektiert, und trotzdem müssen wir dafür kämpfen.  

Was ist der Unterschied zwischen Rechten der Natur und Umweltrecht?  

Umweltrechte sind für die Menschen. Sie fragen danach: Was ist die Grundlage für ein gutes Leben für Menschen? Die Rechte der Natur aber sind für alles Leben da, auch das der Menschen. Wir müssen das Umweltrecht nutzen, so gut es geht. Aber ich denke: Das reicht nicht, wir müssen noch einen Schritt weitergehen. Meiner Meinung nach geben uns die Rechte der Natur die Möglichkeit, eine zivilisatorische Wende einzuleiten. Die Trennung zwischen Kultur und Natur war eine der brutalsten ideologischen Aktionen in der Moderne. Das zu überwinden ist sehr komplex. Wir müssen aufhören mit der Vermarktung von Natur. Dabei sollten wir beim Wasser anfangen. Das Recht auf Wasser ist ein Menschenrecht, aber das Wasser hat ein eigenes Recht, von uns respektvoll behandelt zu werden. Wir müssen uns von der Religion des ewigen Wachstums befreien und die Wirtschaft im Sinne der Natur und der Ökologie organisieren.  

Wie hängen die Rechte der Natur und die Rechte der Menschen zusammen?  

Ohne Menschenrechte gibt es keine Rechte der Natur, und ohne Rechte der Natur gibt es keine Menschenrechte. Aus einem ganz einfachen Grund: Wir als Menschen sind Natur. Ohne sie können wir nicht leben.  

In Ecuador bezieht sich die Einführung der Rechte der Natur auf indigene Konzepte der Pachamama, der Erdmutter. Was bedeutet das für die Indigenen? 

Die Einführung der Naturrechte hat die Rechtsprechung in Ecuador verändert, aber die Indigenen selbst brauchen keine Rechte der Natur. Für sie beschreibt das Konzept der Mutter Erde eine Wirklichkeit, es ist keine Metapher. Menschen lieben, schützen und achten ihre Mutter, weil sie ihre Mutter ist – nicht, weil sie ein Recht darauf hat. Und genauso ist das für Indigene – zumindest für diejenigen von ihnen, die in einer Gemeinschaft im Einklang mit der Natur leben. Mit ihrer Lebensweise haben sie uns etwas zu sagen. Wir sogenannten zivilisierten Menschen sollten davon lernen.  

Für die Indigenen ist es einfach zu verstehen, dass Wasser wichtig für das Leben ist. Den Klimawandel spüren sie mehr als andere. Langsam verstehen sie auch, dass sie bestimmte Rechte haben – zum Beispiel auf Wasser und frische Luft –  und kämpfen für sie. Sie verteidigen den Amazonas nicht nur für sich, sondern die ganze Welt. Und das wissen sie auch. 

Inzwischen werden Naturrechte international diskutiert, in vielen Ländern wurden einzelnen Tierarten oder Flüssen eigene Rechte verliehen. Denken Sie, das Konzept könnte sich auch in Deutschland durchsetzen?  

Es wird dauern, aber es wird funktionieren. Ich bin jeden Tag zuversichtlicher. Das einzige Land, das die Naturrechte in seiner Verfassung hat, ist immer noch Ecuador. In Chile ist das Volksbegehren dazu leider gescheitert. Aber es gibt fast 40 Länder, in denen die Rechte der Natursie bereits mehr oder weniger in die Praxis umgesetzt werden. Auch in Deutschland gibt es jetzt interessante Ansätze. Im Freistaat Bayern zum Beispiel gibt es zum Beispiel Hans-Leo Bader, der mit einer Initiative Unterschriften für ein Volksbegehren sammelt. Ziel ist die Verankerung von Naturrechten in der Bayerischen Landesverfassung. Auch in anderen Bundesländern gibt es solche Initiativen.