ZEIT ONLINE: Frau Brodnig, wann sind Sie das letzte Mal online ausgerastet?
Ingrid Brodnig: Gestern Nachmittag. Ein Radiosender hat mich interviewt und ein Foto mit mir auf Twitter gepostet – prompt kam eine fiese Anmerkung über mein Aussehen. Zum Inhalt des Interviews, zum Thema fiel diesem User hingegen nichts ein. Ich habe nicht wütend zurückgepostet, weil ich das gar nicht mit meiner Aufmerksamkeit belohnen wollte. Dass man online ausrastet, ist vielleicht sogar das Natürlichste der Welt, aber ich versuche zumindest tief durchzuatmen, bevor ich etwas schreibe.
ZEIT ONLINE: Sie beschreiben in Ihrem Buch zwei Typen von Usern: Trolle und Glaubenskrieger. Was verstehen Sie darunter?
Brodnig: Die Gruppe der Trolle versucht Menschen auf die Palme, zur Rage oder zur Verzweiflung zu bringen. Trolle sehen sich als Intellektuelle, die es schaffen, Menschen in die Irre zu führen oder zu manipulieren. Es ist eine eher kleine, aber sehr erfolgreiche Gruppe, die oft von Sadismus angetrieben wird. Das ist das Ergebnis der kanadischen Studie Trolls just want to have fun. Zum Beispiel suchen Trolle gerne Kondolenzseiten von Verstorbenen auf und posten dort Herabwürdigendes, um Angehörige zu verletzen und Reaktionen zu provozieren. Man muss aber festhalten, dass es nur sehr wenige Trolle gibt.
ZEIT ONLINE: Und die andere Gruppe?
Brodnig: Die andere Gruppe sind die Glaubenskrieger. Sie sieht sich in einem Informationskrieg und in ihrem Weltbild so sehr im Recht, dass sie bereit ist, ethische Grenzen zu überschreiten. Das erleben wir beispielsweise in der Flüchtlingsdebatte. Hier sind sehr viele User so extrem von ihrer eigenen Wahrheit eingenommen, dass man sie mit Argumenten kaum noch erreicht.
Weiterlesen: Erschienen bei ZEIT ONLINE, 22.04.2016